Ein Zelt für die Besucher

Mehrere Wochen war das Alters- und Pflegezentrum Waldruh Willisau ein geschlossenes Haus. Nun können Bewohner trotz des Besuchsverbots wieder Angehörige empfangen. Ein Besucherzelt macht es möglich.

Plaudern von Angesicht zu Angesicht: In der Waldruh dank einem Besucherzelt endlich wieder möglich. Fotos zvg
Chantal  Bossard

Er gehörte fest zu ihrem Alltag: der Gang von ihrer kleinen Wohnung am Willisauer Bahnhofplatz in die Gulp­strasse. Ob bei Sonnenschein oder Regenschauer, ob mit oder ohne Hund: Tag für Tag nahm Helene Bösch (86) die eineinhalb Kilometer zum Altersheim unter die Füsse, um ihren Mann Josef (87) zu besuchen. Seit 45 Jahren sind die beiden verheiratet. Nach Krankheitsbedingtem Spitalaufenthalt musste Josef Bösch vor einem Jahr ins Pflegeheim zügeln – eine Heimbetreuung wäre unmöglich gewesen. Trotzdem war die tägliche gemeinsame Zeit noch immer gewiss: knapp zwei Stunden vereint.
«Und auf einmal war das nicht mehr möglich», erzählt Helene Bösch. Am 16. März sei sie noch wie gewohnt auf Besuch gewesen, tags darauf wurde ihr dieser verwehrt. Doch: «Das Besuchsverbot war für mich nachvollziehbar und sinnvoll, ich habe es sofort akzeptiert», so Bösch. Bereits vorher habe sie auf das «Begrüssungs-Schmötzi» mit ihrem Mann verzichtet. «Ich verfolge stets die Nachrichten, von daher wusste ich, dass ich vorsichtig sein muss wegen diesem Virus.» Und nichtsdestotrotz: «Die Situation hat mich zuerst schon etwas überrumpelt, schliesslich war mein Tagesablauf plötzlich nicht mehr derselbe.» Sie habe ein paar Tage gebraucht, um sich an die neuen Umstände zu gewöhnen.

Einen gewaltigen Mehraufwand
Sich an die neuen Umstände gewöhnen: Das muss die Leitung und das Personal des Alters- und Pflegezentrum Waldruh laufend. «Fast täglich werden neue Massnahmen bekannt gegeben», sagt Gabriela Brechbühl, Geschäftsführerin des Zentrums. Stets müsse man das Personal wieder neu instruieren, kontrollieren. «Das bedeutet einen gewaltigen Mehraufwand.» Einen Mehraufwand, der sich zu lohnen scheint: in der Waldruh ist noch kein Corona-Fall bekannt. Spürt man dafür die Dankbarkeit bei den Bewohnern? «Wir bekommen aufmunternde Rückmeldungen, ja. Aber auf der anderen Seite gibt es auch Bewohner, die keinen Sinn hinter all den Massnahmen erkennen.» Diese würden lieber das Risiko zu erkranken eingehen, als keinen Besuch mehr zu empfangen. «Sie haben Angst, ihre Liebsten nie mehr zu sehen, Angst vor einer Vereinsamung.» Letzteres versucht man jedoch mit aller Kraft zu verhindern: Das Personal, welches für gewöhnlich in der Cafeteria eingeteilt wäre, ist nun für die Betreuung zuständig. Spiele, Spaziergänge, Musik: «Wir geben unser Bestes, um unsere Heimbewohner zu unterhalten und ihnen zu zeigen, dass wir für sie da sind.» Das gelingt gut. «Doch die Familie oder den Ehepartner können wir nicht ersetzen.»
«Klar habe ich Josef vermisst», sagt Helene Bösch. «Aber es nützt ja nichts, den Kopf hängen zu lassen, man muss einfach vorwärtsschauen.» Sie sei schon immer ein positiv eingestellter Mensch gewesen, das sei ihr nun zugutegekommen. Bald wusste sie die zwei Stunden, die sie sonst in den Besuch investierte, anders zu nutzen: Helene Bösch spaziert oder telefoniert. Mit ihrem Mann? «Nein, eher weniger. Übers Telefon zu reden funktioniert bei ihm nicht so gut.» Andere hingegen hätten sehr wohl von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, wie Gabriela Brechbühl berichtet. Zusätzlich hätten sie auch Skype eingerichtet und so wurden auch Skype-Anrufe ermöglicht, wo man sich auf dem Bildschirm sieht. «Es war herzig zu beobachten, wie sich zum Teil die ganze Familie vor einem Computer oder einem Handy versammelt hat, um mit einem Angehörigen zu reden.

Das Besucherzelt gewährt den Bewohnern etwas Nähe zu ihren Liebsten.

Termine buchen wie beim Coiffeur
Nachdem Anrufe über das Telefon oder Skype für gut einen Monat die einzige Kontaktmöglichkeit waren, gibt es nun wieder eine Besuchsmöglichkeit beim Heim – dank dem neuen Besucherzelt. Dieses steht direkt an der Schiebetür zum Gartensitzplatz im Atelier. Der Bewohner sitzt im Inneren des Heims, der Besucher auf der anderen Seite im Zelt. Die Schiebetür hat man zurückgeschoben, stattdessen wurde eine vom Schreiner konstruierte Plexiglasscheibe an der Innenseite der Scheibe platziert. «Uns ist wichtig, dass Besucher nicht ins Heim gelangen», so Brechbühl. Einander in die Arme schliessen? Fehlanzeige. «Bis reguläre Besuche wieder möglich sind, könnte es noch eine Weile dauern. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als geduldig abzuwarten.» Mit dem Besucherzelt will man den Bewohnerinnen und Bewohnern wenigstens etwas Nähe zu ihren Liebsten gewähren.
«Termine buchen wie beim Coiffeur», so steht es im Schreiben per Post oder auf der Website, mit dem die Wald­ruh die Angehörigen über das Besucherzelt informiert. Und weiter: «Die Besuchswünsche müssen auf jeden Fall angemeldet werden, damit diese koordiniert werden können. Denn jede Besuchszeit kann nur von einem Bewohner (ausser Ehepaaren) mit seinen engsten Angehörigen wahrgenommen werden.» Das Angebot findet grossen Anklang: «Kaum war der Brief draussen, hat das Telefon dauernd geklingelt», sagt Brechbühl. «Wir sind darauf bedacht, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner auf ihre Kosten kommen und kein Ungleichgewicht entsteht.» Auch die Zeit ist begrenzt: 45 Minuten darf das Wiedersehen höchstens dauern. «Nur so können wir allen Anfragen gerecht werden.» Zwischen den einzelnen Besuchen müssen alle Plätze gereinigt und desinfiziert werden.
Beeindruckt, was geleistet wird
Montagmorgen, 20. April, 8 Uhr: Helene Bösch ist die erste Besucherin im Besucherzelt. «Was habe ich mich gefreut, Josef wiederzusehen.» Zwar habe sie ihn durch die Plexiglasscheibe hindurch manchmal nicht so recht verstanden. «Aber das Gespräch von Angesicht zu Angesicht hat trotzdem gutgetan.» Sie lobt die Waldruh in den höchsten Tönen. «Ich bin beeindruckt, was da täglich geleistet wird.» Corona­krise hin oder her: «Ich sage Dankeschön!»

Chantal Bossard

Besuchsangebote der Heime in der WB-Region

Das Alters- und Pflegezentrum Waldruh ist mit seiner Idee nicht alleine: Etliche Betagtenheime in der WB-Region haben nebst Skype-Angeboten auch Besuchsmöglichkeiten lanciert – einige haben gleich zu Beginn des Lockdowns entsprechende Angebote eingerichtet, andere sind derzeit noch am Aufgleisen.

Immer die Möglichkeit für einen Besuch gab es im St. Johann in Hergiswil: «Sobald bekannt wurde, dass die Heime auf regulären Besuch verzichten müssen, haben wir ein Besuchszimmer eingerichtet», sagt Heimleiter Peter Heer. Der Raum habe einen Zugang von aussen für den Besucher, sodass dieser nicht durch das Heim müsse. Im Raum selbst steht ein Tisch, auf Plexiglasscheibe verzichtet man – «der nötige 2-Meter-Abstand ist aber klar gegeben». Termine kann man direkt bei Heimleiter Heer buchen. Seit Anfang April gibt es ausserdem die Möglichkeit sich draussen über eine Blumenrabatte hinweg zu unterhalten. Das Fazit von Peter Heer: «Es geht auch ganz unkompliziert.»

Ganz unkompliziert wird es auch im Alterszentrum Willisau angegangen. Seit Beginn des Lockdowns können Bewohnerinnen und Bewohner der Heime Zopfmatt und Breiten ab den Balkonen mit ihren Angehörigen berichten. «Dem schönen Wetter sei Dank!», sagt Zentrumsleiter Guido Hüsler. Den Angehörigen habe man im Garten extra Bänke hingestellt.  Nebst den Balkongesprächen hätten die Bewohner schon rasch die Möglichkeit genutzt, und sich mit ihrem Telefon vor den Schiebetüren am Heim-Eingang platziert, um da mit Sichtkontakt mit ihren Angehörigen zu plaudern. Seit einer Woche gibt es beim Pflegeheim Zopfmatt ausserdem auch ein Begegnungsort. Damit nicht alle auf einmal kommen und die Bewohner zur entsprechenden Zeit parat sind, müssen Besucher sich telefonisch beim Sekretariat melden, um einen Termin abzumachen.

Balkongespräche: Diese Möglichkeit besteht auch beim Betagten- und Pflegeheim Weihermatte Menznau seit dem Lockdown. Ohne Anmeldung, «ganz spontan», wie Heimleiter Cristian Di Mercurio sagt. Weitere Ideen habe man im Hinterkopf. «Wir informieren zum gegebenen Zeitpunkt.»

In der Pflegewohngruppe Buttisholz wird in der Cafeteria mittels zwei Mikrofonen miteinander kommuniziert. Die Angehörigen befinden sich auf der Terrasse und die Bewohnenden in der Cafeteria. «Die Glasscheibe bietet den nötigen Schutz und die erforderliche Distanz, lässt aber doch eine visuelle Nähe zu», erklärt Lars Mathys, Leiter des Wohnbereichs. Der Besuch kann online via Zeitfenster-Link gebucht werden.

Die Kapelle des Heims umgenutzt: Das hat das Betagtenzentrum Linde Grosswangen zugunsten eines Treffpunkts für. Die Bewohner befinden sich dabei in der Kapelle und schauen durch ein Fenster nach draussen, wo der Besucher in einem extra gebauten, provisorischen Unterstand sitzt. Das Gespräch findet am Telefon statt. Auch hier gilt: «Eine Reservierung ist notwendig», sagt der Sekretär des Heims und Gemeinderat Cornel Ernli. Das Angebot besteht seit Montag.

Besonders ins Zeug gelegt hat sich das Alters- und Pflegeheim Murhof St. Urban. Ein gemieteter Bürocontainer sorgt für eine wohlige Atmosphäre. Tisch, Stühle, Bilder von Bewohnern, Fenster, Pflanzen, eine Heizung für angenehmes Klima, ein Notfallknopf im Fall der Fälle: Es fehlt an nichts. Die Plexiglasscheibe in der Mitte des Raums wurde vom Schreiner extra so konstruiert, dass man sich ohne Telefon in normaler Lautstärke unterhalten kann. «Es war uns extrem wichtig, dass sich die Bewohner nicht fühlen wie in einer Gefängniszelle», sagt Heimleiter Hansueli Eggimann. Er ist zufrieden mit dem Resultat: «Es sieht sehr wohnlich aus.» Dem ganzen Komfort setzt eine extra dafür geschaffene Getränkekarte das Tüpfelchen auf das i. «Ob Tee, Kaffee oder Mineral: das Getränk geht aufs Haus», so Eggimann. Die Bemühungen lohnen sich: «Am Mittwoch war der Auftakt. Die Rückmeldungen der Bewohner und Besucher freuen uns.» Es seien schon unglaublich viele Termine gebucht worden. Heute Freitag wird der Container noch beschriftet: «Murhof-Treff», prangt dann auf der neuen Besuchsmöglichkeit. «Selbstverständlich kann der Container auch für Treffen mit dem Seelsorger genutzt werden. Und wir haben die Möglichkeit, etwa Bewerbungsgespräche darin durchzuführen.»

Ganz frisch besteht im Alterszentrum Eiche Dagmersellen die Möglichkeit eines Besuchs: «Seit gestern Donnerstag können wir zwei Plätze für ein Wiedersehen anbieten», sagt Zentrumsleiter Christoph Schmid.  Beim einen befindet sich der Bewohner im Haus vor einem Fenster und der Angehörige an einem Aussenplatz, beim anderen sitzen beide draussen auf der Terrasse. Ohne Plexiglasscheibe, aber mit dem nötigen Abstand. «Wichtig ist auch bei uns, dass sich die Besucher voranmelden und einen Termin buchen.»

Ebenfalls seit gestern Donnerstag, bietet der Wohn- und Begegnungsort Violino Zell zwei neue Besuchsmöglichkeiten. Durchführungsorte sind das Foyer des Heims einerseits und die neue Kapelle andererseits. Bei Letzterer ist der Eingang beim Velounterstand. «An beiden Orten ist der nötige Abstand gegeben, zum zusätzlichen Schutz gibt es noch eine Plexiglaswand», sagt Heimleiter Beat Chapuis. Die Besucher sind aufgefordert, im Voraus einen Termin zu buchen. «Das Angebot wird sehr geschätzt.»

Ein Blick in die Zukunft: Im Begegnungszentrum St. Ulrich Luthern wird es ab dem 9. Mai drei Begegnungsecken geben. Zwei auf der Insel im Mehrzwecksaal, einer in einem Zelt im Aussenbereich. Zum nötigen Mindestabstand und der Plexiglasscheibe kommt noch die Maskenpflicht dazu, welche das Heim für Besucher und Bewohner bei einem Treffen verhängt hat. «Wir wollen doppelte Sicherheit gewährleisten», sagt Zentrumsleiter Pius Burri.

Eine Ausnahme am Muttertag: Das bietet das Mauritiusheim Schötz. Am 10. Mai können Angehörige – desinfiziert und maskiert – die Heimbewohner besuchen. Jedoch nur eine Person pro Bewohner und unter Voranmeldung. «Weitere Besuchsmöglichkeiten für die Zukunft klären wir ab», sagt Geschäftsführer Stefan Wülser. Aufgrund der engen Platzverhältnisse seien die Voraussetzungen dafür allerdings eher schwierig.

Abwarten tut auch das Alters- und Pflegezentrum Feldheim Reiden. «Wir wollen nichts vorschnell riskieren», hält Heimleiter Urs Brunner fest. Deshalb warte man noch etwas ab. «Angebote sind ab einer offiziellen Lockerung vorgesehen.»

Auch das Alters- und Pflegeheim Sonnbühl Ettiswil bietet vorerst noch keine Besuchsmöglichkeiten an.

In extremen Fällen – heisst, wenn der Bewohner schwer erkrankt / psychisch stark angeschlagen ist oder gar im Sterben liegt – machen alle Betagtenheime der WB-Region unter Einhaltung der Sicherheitsmassnahmen eine Ausnahme beim Besuchverbots.

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