Kanton ruft erneut die Notlage aus

Im Kanton Luzern gibt es kaum noch freie Plätze für die Schutzsuchenden. Deshalb gilt ab sofort im Asylwesen wieder die Notlage. Vorerst kein Thema ist die Wiedereinführung der Ersatzabgaben der Gemeinden.

Freie Plätze für Schutzsuchende sind rar. Deshalb ruft der Kanton Luzern im Asylwesen wieder die Notlage aus. Foto: Keystone
Stephan Weber

«Die Situation im Asyl- und Flüchtlingsbereich hat sich wieder verschärft», sagte Regierungsrätin Michaela Tschuor gestern Montagnachmittag vor Medienschaffenden. Als Folge der angespannten Situation verhängt der Kanton ab sofort die Notlage. Damit kann die Regierung Gemeinden dazu verpflichten, kommunale Schutzanlagen für die Unterbringung von Geflüchteten zur Verfügung zu stellen. Dazu gehören auch unterirdische Unterbringungen in Zivilschutzanlagen. «Wir verschaffen uns den nötigen Spielraum, um schneller handeln und einfacher auf benötigte Ressourcen zugreifen zu können», sagte Michaela Tschuor, die am Mediengespräch zusammen mit Silvia Bolliger, Leiterin der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen (DAF), und Sibylle Boos-Braun, Präsidentin des Verbands Luzerner Gemeinden (VLG), über die aktuelle Lage im Asyl- und Flüchtlingsbereich sprach.

Luzern war schweizweit der erste Kanton, der im November 2022 die Notlage im Asylwesen ausrief. Beendet wurde diese Ende August 2023. Damals kommunizierte die Regierung, nun über genügend Plätze für die Schutzsuchenden zu verfügen. Die Situation hatte sich entspannt. Nun ist der Druck grösser geworden. «Die Asylgesuche bringen den Bund, die Kantone und Gemeinden an ihre Grenzen», sagte Tschuor.

Es fehlen 1200 Plätze

Mit ein Grund, die Notlage wieder zu verhängen, seien die befristeten Mietverhältnisse, weswegen monatlich Plätze verloren gehen, erklärte Silvia Bolliger. «Für die DAF wird es zunehmend schwieriger, neue Wohnungen zu finden.» Zwar habe der Kanton seit März über 1000 Plätze in kantonalen Asylzentren und weitere 2000 Plätze in Kantonswohnungen geschaffen. Nur: Das reiche nicht aus, wie ein Blick in die Zahlen zeige. So stehen der DAF 1345 Plätze in den kantonalen Asylzentren zur Verfügung. Davon seien noch 269 Plätze frei. Weil unter anderem die Marienburg in Wikon per Ende Juni geschlossen wird, erschwert sich die Situation zusätzlich. Die Asylchefin geht davon aus, bis Anfang Juli noch mindestens 200 neue Plätze zur Verfügung stellen zu müssen. Bis Ende Jahr fehlten total 1200 Betten.

Weltweit sind geschätzt über 100 Millionen Menschen auf der Suche nach Schutz und Stabilität aus ihrer Heimat geflohen. Die europäischen Staaten müssen die grösste Flüchtlingsbewältigung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewältigen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat vor knapp anderthalb Monaten seine Asylprognose für das Jahr 2024 veröffentlicht. In seinem wahrscheinlichsten Szenario rechnet die Behörde mit 33 000 neuen Asylgesuchen. Zusätzlich kommen geschätzte 25 000 Anträge von Geflüchteten aus der Ukraine, die den Schutzstatus S geltend machen können. Heisst: Sie durchlaufen kein «normales» Asylverfahren und erhalten so das Recht, sich in der Schweiz aufzuhalten und zu arbeiten. Zudem haben sie Anspruch auf Sozialhilfe und medizinische Versorgung.

Insgesamt hätten über 53 000 Personen im letzten Jahr Schutz in der Schweiz gesucht, sagte Regierungsrätin Michaela Tschuor. Hauptsächlich stammten die Menschen aus Afghanistan, der Türkei und Eritrea. Beim Blick in die Prognosen des Bundes sei «keine Entspannung in Sicht». Es gehe auf diesem hohen Niveau weiter, so die Wikonerin.

2700 Zuweisungen vom Bund

Die Verteilung der Geflüchteten erfolgt nach einem Verteilschlüssel. Dem Kanton Luzern werden vom Bund 4.8 Prozent der Schutzsuchenden zugewiesen. Aktuell betreut das DAF über 6500 Personen. Der Kanton geht für 2024 von 1440 Asylsuchenden und bis zu 1200 ukrainischen Schutzsuchenden aus.

Die Gemeindezuweisung und damit das System der Ersatzabgabe, die der Regierungsrat im September 2022 für 13 Monate ausrief, soll trotz der schwierigen Lage nicht aktiviert werden. Ein kurzer Blick zurück: Die Luzerner Gemeinden waren damals aufgefordert, innerhalb von zehn Wochen pro 1000 Einwohner 23.5 Unterkunftsplätze für die Geflüchteten zur Verfügung zu stellen. Wer ein bestimmtes Soll nicht erfüllte, zahlte Ersatzabgaben. Dieses Vorgehen stiess unter anderem beim VLG auf Kritik. «Wir möchten nur als letztes Mittel auf die Gemeindezuweisungen und das System der Ersatzabgaben zurückkommen», sagte Sozialdirektorin Tschuor. Die Krise zu meistern, das sei nach wie vor eine Verbundaufgabe von Bund, Kantonen und Gemeinden.

«Sorgt für Missgunst»

«Ich bin überzeugt, dass die Gemeinden ihren Beitrag in dieser schwierigen Situation leisten werden», sagte VLG-Präsidentin Sibylle Boos-Braun. Diese hätten seit zwei Jahren einen «langen Atem» bewiesen. Damit die Herausforderung gelinge, sei es für die Gemeinden wichtig, «auf Augenhöhe» mit dem Kanton zusammenzuarbeiten. Und: Dem VLG sei es zentral, dass das Bonus-Malus-System nicht mehr angewendet werde. Dieses lege den Fokus zu stark auf die Finanzen anstelle der Unterkunftssuche. Zudem sorge es für Missgunst und löse Gerichtsverfahren aus. Weiter sagte die Malterserin, die für die FDP im Kantonsrat politisiert, mögliche Ermessensspielräume seien den Gemeinden zu überlassen. So etwa bei der Beurteilung, ob sich Wohnungen als Unterkunftsmöglichkeit eignen oder nicht. Gemeindebehörden seien Experten auf lokaler Ebene. «Sie wissen, was möglich ist, und geniessen das Vertrauen der lokalen Bevölkerung.» 

Während der kantonale Führungsstab zum aktuellen Zeitpunkt nicht wieder eingesetzt werden soll, beruft der Kanton eine Taskforce ein. In dieser sollen etwa Mitglieder aus dem Verband der Luzerner Gemeinden, der Luzerner Polizei oder der Dienststelle Immobilien die Aktivitäten koordinieren und bewältigen.

Der Appell an den Bund

Michaela Tschuor blickte bei ihren Ausführungen auch nach Bundesbern. Ihr Appell: «Die Kantone brauchen Planungssicherheit. Wir müssen so schnell als möglich wissen, ob der Bund den Schutzstatus im März 2025 aufhebt oder nochmals verlängert.» Ausserdem müsse die Besserstellung gegenüber anderen Personen aus dem Asyl- und Flüchtlingsbereich korrigiert werden.

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