Die Weihnachtsgeschichte wird erlebbar

Heilige Maria und Josef! Über 100 Figuren drapieren Rita Geisser und ihre Freundin Vroni Strüby in der Nebiker Pfarrkirche und lassen die Weihnachtsgeschichte buchstäblich Gestalt annehmen.

Vroni Strüby (links) und Rita Geisser mit ihren Figuren: Fünf Tage benötigten die beiden, um mit ihnen die Weihnachtsgeschichte in der Nebiker Pfarrkirche darzustellen. Foto Stefan Bossart
Stefan Bossart

Zehn Meter lang ist die Bühne, die es zu bespielen gilt. Maria und der Erzengel Gabriel machen den Anfang, die Heilige Familie auf der Flucht vor König Herodes den Schluss. Szene um Szene des Lukasevangeliums setzten Rita Geis­ser-Renggli und Vroni Strüby-Tanner mit rund 30 Zentimeter hohen Eglifiguren um. Beweglich sind deren Körper, dank eines Drahtgestells im Innern. Mit ein paar Handgriffen lassen sie sich in die richtige Stellung bringen. Abweisend ist die Haltung des Gastwirts, den Josef und Maria um Unterkunft bitten. Rund ums Feuer sitzen die Hirten, die mit Blick nach oben den Weihnachtsstern am Firmament betrachten und sich anschliessend mit ihrer Schafherde im Schlepptau auf den Weg zur Heiligen Familie machen. Zusammen mit den Weisen aus dem Morgenland treffen sie im Stall in Bethlehem ein, gesellen sich wie Eselchen und Ochse um die Krippe mit dem Jesuskind.

Der lange Weg zur grossen Passion

Maria und Josef, Hirten und Weise: Genau gleich wie die Schafe, Kamele oder Eselchen braucht es sie im Multipack, um die Weihnachtsgeschichte Station um Station zu verbildlichen. «Als Kind hätte ich nie gedacht, dass ich einmal über 50 biblische Figuren samt tierischer Entourage mein Eigen nenne», sagt Rita Geisser. Aufgewachsen ist die Wauwilerin in Werthenstein. Unten am Emmenknie, mit Blick hinauf zum Kloster. War ihr Vater zu Kriegszeiten mit einem via Holzvergasermotor betriebenen Lastwagen für eine Transportfirma unterwegs, übernahm er in den 1950er-Jahren als junger Familienvater die Dorfschmiede. Einfach seien damals die Verhältnisse gewesen, klamm das Münz im Geldbeutel, sagt Rita Geisser. Ein Tannenbaum zur Weihnachtszeit habe im «Stubali» aber nie gefehlt. «Dann war dieses geheizt, sassen wir Kinder abends mit Muetti und Babi bei Kerzenlicht auf der Eckbank. Geborgenheit pur.» Vielmehr als den wenigen tönernen Krippenfiguren unter dem Bäumchen galt die Aufmerksamkeit der Kinder dabei jenem, was an den einzelnen Ästchen baumelte: Den in Silberfolie eingepackten Schöggeli – eine sonst im Haushalt vergebens gesuchte Leckerei, geliefert von Gotti «Schoggitanti» Frieda. «Meine Faszination für biblische Figuren entdeckte ich erst viel später», sagt Rita Geisser und lacht.

Malen, nähen, basteln – an Kreativität hat es der heute 73-Jährigen zwar nie gefehlt. Handarbeitslehrerin wollte sie ursprünglich werden. Eine Lehre war ihr von den Eltern zugedacht. Sie liess sich zur Zahnarztgehilfin ausbilden, machte die Handelsschule und arbeitete bis zu ihrer Heirat und dem Wegzug in die Westschweiz als Sekretärin. «De Ärmel inegnoh.» Dies hat es Rita Geisser vor rund 20 Jahren, als ihre drei Kinder flügge wurden. Bei einem Verwandtenbesuch entdeckte sie die ersten Eglifiguren. «Mich faszinierte nicht nur das Handwerk dahinter. Bis heute staune ich, wie sich die Figuren in Szene setzen lassen, sie je nach Körperhaltung ohne Worte Gefühle ausdrücken.»

Von der Kursleiterinzur Ausstellungsmacherin

Einmal gesehen, war es um sie geschehen. Rita Geisser reiste mit Sack und Pack nach Deutschland, liess sich zur Kursleiterin ausbilden. Bis zu ihrem Umzug vor neun Jahren nach Wauwil gab sie ihr Wissen in der Westschweiz weiter, trat in den Egli-Figuren-Arbeitskreis ein. Hier lernte Rita Geisser auch die Ibächlerin Vroni Strüby kennen, mit der sie eine tiefe Freundschaft verbindet. «Mit ihr zu Arbeiten ist für mich wie Weihnachten und Ostern zugleich», sagt Rita Geisser. Ob in Kirchen oder in Altersheimen: Mehrere Projekte haben die beiden bislang zusammen umgesetzt, mit biblischen Szenen wie etwa der Erzählung des barmherzigen Samariters auch unter dem Jahr für staunende Gesichter gesorgt. «Die Weihnachtsgeschichte in all ihren Facetten ins rechte Licht zu rücken, ist aber auch für uns eine Herausforderung», sagt Vroni Strüby. Bereits einmal haben sich die beiden dieser Aufgabe gestellt. Vor fünf Jahren kam in der Pfarrkiche Ibach zu stehen, was ab dem ersten Adventssonntag in Nebikon zu sehen ist.

Mit Streifen lässt sich Punkten

Rita Geisser und Vroni Strüby können aus dem Vollen schöpfen. Eselchen und Schafe, Hirtenhunde und Kamele sind gefilzt, im Laufe der Jahre haben zudem rund 100 zweibeinige Figuren beim Rattern der Bernina-Nähmaschine Gestalt angenommen. Aus einem Sagexquader und mit Modelliermasse entsteht das Köpfchen. Unter Einsatz von Trikotstreifen werden die zuvor drahtigen Arme und Beine gewickelt, der Körper genäht und mit Watte gestopft. Bleibfüsschen und -bewegliche Hände vervollständigen die Figur, die mit Duvetine überzogen wird. Das Werk gilt es mit einer Schaffellperücke zu bestücken und ins passende Outfit zu stellen. Leine, Seide und (Baum)Wolle sind gefragt, Acrylfasern und Co. hingegen fallen aus der Zeit und sind damit verpönt. «Die passenden Stoffe zu finden, wird immer schwieriger», sagt Rita Geisser. Reisen nach Fernost, Afrika oder Südamerika sorgten für ein volles Lager. «Neues» Material liefern Besuche in Brockenstuben. Ein hier entdecktes seidenes Brautkleid verwandelte Rita Geisser beispielsweise in Königsgewänder. Hie und da sucht aber auch ihr Ehemann vergebens nach dem einst gekauften «Tschopen» in seinem Schrank. «Früher oder später – insbesondere mit gestreiften Baumwollhemden punktet er bei mir», sagt Rita Geis­ser und lacht verschmitzt.

Acht Meter, die zum Nachdenken anregen

«Der Hoffnungsstern» haben Rita Geisser und Vroni Strüby ihr Projekt getauft, welches im kommenden Sonntagsgottesdienst mit einer Vernissage eröffnet wird. Parallel zur Weihnachtsgeschichte haben sie dabei auf der Ostseite der Kirche eine weitere, acht Meter lange Darstellung aufgebaut. Diese katapultiert das Lukasevangelium in die Gegenwart. Flüchtete die Heilige Familie vor den Schergen Herodes, sucht ein vom Bürgerkrieg vertriebenes afrikanisches Mädchen mit ihrer Familie Zuflucht in der Fremde. Szene um Szene nehmen Rita Geisser und Vroni Strüby die Betrachter mit auf die Odyssee, welche in einem Zelt des Schweizerischen Roten Kreuzes endet. «Ein Schimmer der Hoffnung», sagt Rita Geisser und fügt an: «Eigentlich ist es bedenklich, dass die Menschheit in 2000 Jahren nicht sonderlich viel dazu gelernt hat.» Worte, die einem Figur um Figur vor Augen geführt werden und zum Nachdenken anregen.

Gottesdienst mit Vernissage, übermorgen Sonntag, 27. November, 10 Uhr, Pfarreikirche Nebikon. Die Ausstellung ist anschliessend ausserhalb der Gottesdienstzeiten bis am 7. Januar frei zugänglich.

Das Hinterland war nie eine Krippenhochburg

Geschichte Vermutlich ist das traditionelle Aufbauen von Weihnachtskrippen dem Heiligen Franz von Assisi zu verdanken. Denn dieser stellte die Weihnachtsgeschichte nachweislich erstmals im Jahr 1223 mit lebenden Personen und Tieren nach. Als Schauplatz wählte er eine Futterkrippe in einem Wald nahe dem Kloster Greccio in Umbrien. Er nutzte die anschauliche Szenerie, um Gläubigen, die nicht lesen konnten, das vermutlich aus dem 2. Jahrhundert datierende Weihnachtsevangelium des Lukas in Bildern näherzubringen.

Franz von Assisi war sich wohl nicht darüber im Klaren, dass er mit seiner Aktion den Grundstein für einen viele Jahrhunderte überdauernden Brauch legen würde. Doch der Weg, der letztlich zu den heutigen Krippendarstellungen führte, war noch lang. Die grosse Blütezeit der Krippen war das Zeitalter des Barock. Erste sichere Nachrichten von Kirchenkrippen stammen aus Süddeutschland, wo nach der unruhigen Zeit der Reformation zuerst die Jesuiten den Wert der Krippe als Andachtsgegenstand und als Mittel der religiösen Unterweisung erkannten. Der Funke sprang bald auch auf die Städte über, und schliesslich wollte jede Gemeinde eine eigene Krippe. Ende des 18. Jahrhunderts kam die Zeit der Aufklärung. Mancherorts kam es zu einem Verbot der Krippen. Doch das führte dazu, dass sie verstärkt Einzug in die Bürger- und Bauernhäuser fanden. Dies insbesondere im Tirol, das auf eine lange Krippentradition zurückblickt. Und unsere Gegend? «So sehr das Volk die Weihnachtskrippen liebte und verehrte, ein Krippenland war das Luzerner Hinterland nie», schreibt Josef Zihlmann in seinem Buch «Volkserzählungen und Bräuche – Handbuch luzernischer Volkskunde». In den Häusern seien sie äusserst selten anzutreffen gewesen und wenn überhaupt, dann seien die Figuren meist zwischen Vor- und Hauptfenstern auf ein Polster aus Moos gestellt worden. Umso mehr hätte das Volk laut Zihlmann jene Krippen geschätzt, die beinahe in jeder Kirche standen. bo.

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