«Initiative könnte zum Eigengoal werden»

Der Luzerner Gesundheits- und Sozial­direktor Guido Graf hat für die heftigen Diskussionen rund um das Leistungsangebot beim Spital Wolhusen Verständnis. Zuweilen seien die Grenzen aber überschritten worden.

Guido Graf sagt: «Es braucht auf der Landschaft eine Intensivstation – aber in Sursee und nicht in Wolhusen.» Foto zvg
Stephan Weber

Guido Graf, drei dringliche Vorstösse zum Spital Wolhusen sorgten in der letzten Kantonsratssession für teils hitzige Voten. Wie haben Sie die Debatten erlebt?

Das Spital Wolhusen weckt Emotionen. Das ist keine Überraschung und das verstehe ich. Ich stelle einfach fest, dass dieses Geschäft regionalpolitisch bewirtschaftet wird. Was mich enttäuscht: Teilweise wird Stimmungsmache betrieben. Wenn etwa beim Neubau mit Kosten von bis 140 Millionen Franken von einem «besseren Samariterposten» gesprochen wird, verunsichert das die Bevölkerung und es verletzt die Mitarbeitenden im Spital Wolhusen. Was ich bei der Kantonsratsdebatte zuweilen auch vermisse: Es wird bloss von Wolhusen und nicht von der Gesundheitsversorgung für den ganzen Kanton gesprochen. Es gibt andere Regionen im Kanton, die kein Spital haben – etwa das Seetal mit seinen 30 000 Einwohnerinnen und Einwohnern.

Sind die Debatten auch ein Stück weit Wahlkampfgeplänkel?

Es ist bei diesem Geschäft gut zu spüren, dass im Frühjahr 2023 Wahlen anstehen. Ich habe Spitaldebatten in anderen Kanton mitverfolgt. Dort war es ähnlich. Ich kann das nachvollziehen, aber es gibt Grenzen. Und diese wurden meines Erachtens im Kanton Luzern ein paar Mal überschritten – etwa was die Redlichkeit betrifft.

Hat der runde Tisch mit Vertretern aus Politik, Verwaltung und Ärzteschaft denn nichts gebracht?

Doch. Er hat viel gebracht. Ich bin auch dankbar, dass er initiiert wurde. Wir pflegten am runden Tisch einen konstruktiven Dialog zwischen den wichtigsten Akteurinnen und Akteuren aus dem Spital, der Region, Politik, Ärzteschaft und Verwaltung. Als Fortsetzung des runden Tisches haben wir Mitte November den «Kick-Off Planungsbericht Gesundheitsversorgung» durchgeführt, an dem rund 60 Akteure ihre Sicht und Inputs zur Gesundheitsversorgung im Kanton Luzern einbringen konnten. Die Teilnehmenden haben dieses Format sehr geschätzt. Es wird 2023 mit zwei weiteren Sitzungen fortgeführt.

Bei diesem Kick-Off ging es aber nicht nur um das Spital Wolhusen?

Nein, beim Planungsbericht geht es um die Gesundheitsversorgung im ganzen Kanton, es betrifft die gesamte Luzerner Bevölkerung. Es geht nicht ausschliesslich um einzelne Spitalstandorte oder Regionen. Wolhusen kann man sowieso nicht isoliert betrachten. Was wir künftig in Wolhusen anbieten, beeinflusst auch die anderen Standorte.

Trotz den Treffen und den Gesprächen: Das Vertrauen ist angekratzt. Wie kommen sich die Akteure wieder näher?

Wichtig ist ein ständiger Austausch, um die Bedürfnisse und Inputs von Politik, Ärzteschaft und weiteren Partnern immer wieder abzuholen. Dem Regierungsrat ist es ernst, dass er die Vertrauensbildung und die Zusammenarbeit stärken möchte. Dazu braucht es aber die Bereitschaft aller.

Hat nicht der Regierungsrat selber viel Vertrauen verspielt?

Der Luzerner Regierungsrat steht dazu, dass Fehler passiert sind. Zentral aber ist: Er hat immer betont, dass es selbstverständlich und unbestritten ist, dass die Bevölkerung im ganzen Kanton – also auch auf der Landschaft – rund um die Uhr eine gute und zeitnahe medizinische Versorgung haben muss. Nun geht es darum, was künftig im Spital Wolhusen angeboten werden soll. Dazu hat die Luzerner Regierung aufgrund der veränderten Umstände das Angebot den neuen Rahmenbedingungen angepasst und das auch so kommuniziert. Wissen Sie: Es gibt Personen, die kein Vertrauen mehr in die Regierung haben, solange sie nicht genau das Spital erhalten, welches sie sich wünschen.

Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung sind also unbegründet?

Ich betone nochmals: Für den Regierungsrat ist es selbstverständlich und unbestritten, dass die Bevölkerung im ganzen Kanton rund um die Uhr eine gute und zeitnahe medizinische Versorgung haben muss. Es braucht ein Spital in Wolhusen. Das haben wir mehrmals bekräftigt. Deshalb haben wir das Luzerner Kantonsspital (LUKS) beauftragt, für 130 bis 140 Millionen Franken einen Spitalneubau zu errichten. Die Vorbereitungen für die Bauarbeiten am LUKS Wolhusen laufen.

Was sagen Sie zum Vorwurf, die Regierung sei unglaubwürdig und habe alte Rehabilitationspläne für das Spital Wolhusen wieder aus der Schublade geholt?

Das stimmt nicht. Es gab nie irgendwelche Pläne, das Spital Wolhusen nur als reine Reha-Klinik zu führen. Der Regierungsrat hat sich zu einem Spital Wolhusen bekannt. Und zwar mit einer stationären Grundversorgung mit Medizin, Chirurgie, Geburtshilfe/Gynäkologie, einem 24-Stunden-Notfalldienst mit einem Notfall-Bettendienst. Was aber auch klar ist: Das Gesundheitswesen ist stark im Wandel, der Fachkräftemangel macht mir grosse Sorgen und schweizweit herrscht enormer Kostendruck.

Das Spital Wolhusen ist wie viele andere Spitäler defizitär.

Ja, es schreibt mit dem bestehenden Angebot seit Jahren Defizite. Von daher ist klar: Das Leistungsangebot in Wolhusen soll möglichst innerhalb dieser Rahmenbedingungen optimal gestaltet werden. Dazu gehört ein Ausbau der Rehabilitation.

SVP-Kantonsrat Bernhard Steiner schreibt in einem Leserbrief, die medizinische Grundversorgung sei definiert und klar vorgegeben. Darum könne nicht wie an einem Basar gefeilscht werden.

Was mit einer «ausreichenden, allen zugänglichen ambulanten und stationären medizinischen Grund- und Notfallversorgung» gemeint ist, müsste noch konkretisiert werden. Der Begriff Grundversorgung ist sehr allgemein und kennt keine präzise Definition. Zudem wäre noch zu klären, welche Disziplinen und Eingriffe ambulant oder stationär, rund um die Uhr oder nur zu bestimmten Zeiten, für einen Notfall oder bei nicht akut notwendigen Behandlungen – also bei Wahleingriffen – erbracht werden müssen.

Bemängelt wird ferner, dass die Regierung beim Leistungsangebot nicht umsetze, was die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) vorschlägt: ein komplettes Basispaket während 365 Tagen, 24 Stunden.

Der Kanton Zürich hat dieses Basispaket vor rund zehn Jahren definiert. Es bildet lediglich den Rahmen für mehrere Hundert Eingriffe der Grundversorgung, welche das Spital Wolhusen wohl heute schon nicht alle anbietet. Beim Leistungsangebot für das künftige Spital geht es doch gerade darum, die Eingriffe möglichst genau zu bestimmen und die Anforderungen an Fachkräfte und Gebäude im Detail zu ermitteln. Es wäre also falsch zu sagen, die GDK schlage vor, dass dieses volle Basispaket in allen Spitälern angeboten werden soll.

«Es gab nie irgendwelche Pläne, das Spital Wolhusen nur als reine Rehaklinik zu führen.»
Guido Graf
Sozial- und Gesundheitsdirektor

Es bleibt dabei: Wolhusen braucht ihrer Ansicht nach keine Intensiv-pflegestation (IPS), sondern eine Intermediate Care (IMC) – also eine Behandlung zwischen Intensiv- und Normalstation?   

Ja, eine IPS am Standort Wolhusen ist nicht erforderlich. Das zeigt auch das schweizweit angewandte Zürcher Spitalplanungs-Leistungsgruppen-Konzept. Es braucht unbestritten eine Intensivpflegestation in einem Akutspital auf der Luzerner Landschaft. Aber diese muss aufgrund der deutlich grösseren Bevölkerungsdichte am Standort Sursee geführt werden. Dazu kommt: Wir haben gar nicht genügend Fachpersonal, um neben den Spitalstandorten Luzern und Sursee noch eine weitere IPS zu betreiben. Der Stellenmarkt ist seit Langem ausgetrocknet. So stark, dass gesamtschweizerisch ein Personalmangel besteht, Betten vorübergehend nicht betrieben werden können und so Operationen verschoben werden müssen. Und übrigens: Das oben erwähnte Basispaket verlangt lediglich eine Überwachungsstation. Also nicht einmal eine IMC und schon gar nicht eine IPS.

Vertreter von Mitte, SVP, FDP, SP und Grünen habe eine Einzel-initiative eingereicht, mit der Forderung nach einem Spital mit «mindestens einer ausreichenden, allen zugänglichen ambulanten und stationären medizinischen Grund- und Notfallversorgung». Droht bei der Überweisung dieses Vorstosses eine Verzögerung oder gar ein Baustopp?

Die Einzelinitiative wird ja nicht von meinem Departement, sondern von einer parlamentarischen Kommission behandelt, die zuerst eine Botschaft erarbeiten muss. Zuerst muss ich den Inhalt dieser Botschaft kennen, um alles Weitere beurteilen zu können. Aber klar: Die Gefahr einer Verzögerung besteht.

Noch offen ist die Volksinitiative, welche die SVP angekündigt hat. Ob diese lanciert wird, wurde nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe am Donnerstagabend entschieden. Was hätte sie für Folgen?

Das hängt stark vom Inhalt und der Formulierung der Initiative ab. Es ist aber sicher problematisch, wenn ein Spital gebaut und gleichzeitig ein Prozess gestartet wird, bei dem das Volk das letzte Wort darüber hätte, ob und mit welchem Angebot in Wolhusen ein Spital betrieben werden soll. Eine Verzögerung wäre bei einer Volksinitiative garantiert. Von der Unterschriftensammlung bis zur Inkraftsetzung dauert es ungefähr zwei Jahre. Ausserdem: Diese Volksinitiative könnte sich als Eigengoal für die Spitalversorgung in Wolhusen erweisen.

Warum?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Luzerner Stimmvolk über das Anliegen der Initiative abstimmen könnte, weil der Kanton das Spital Wolhusen auch künftig mit mehreren Millionen Franken pro Jahr subventionieren muss. Und: Falls eine solche Volksinitiative in der Abstimmung abgelehnt wird, würden alle Diskussionen von vorne beginnen.

Was wäre so falsch, wenn letztlich das Volk über die Zukunft des Spitals Wolhusen entscheiden würde?

Die Regierung hat den Auftrag, eine medizinische Grundversorgung im Kanton Luzern sicherzustellen. Im Entlebuch gibt es immer weniger Hausärztinnen und Hausärzte. Die Notwendigkeit des Spitals Wolhusen ist unbestritten. Ich hätte aber allergrössten Respekt vor der Abstimmung: Es wäre keineswegs sicher, dass diese vom Luzerner Stimmvolk auch wirklich angenommen würde.

Sie sind noch bis Ende Juni 2023 im Amt. Ist das Leistungsangebot bis dann klar?

Nein, klar nicht, aber aufgegleist. Das Leistungsangebot für das Spital Wolhusen wird in der kantonalen Spitalplanung festgelegt. Geplant ist, dass der Kantonsrat voraussichtlich im ersten Halbjahr 2024 darüber debattiert. Er kann zum vorgesehenen Angebot Stellung beziehen und Einfluss nehmen.

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