"Die Entwicklung bereitet uns Sorgen"

Es ist ein Beruf am Puls des Lebens: Hebamme. Allerdings droht ein Nachwuchsproblem, weil viele praktizierende Hebammen über 50 Jahre alt sind und in der Schweiz immer mehr Babys auf die Welt kommen. Wie sieht die Situation im Kanton Luzern aus? Der WB hat nachgefragt.

In der Schweiz gibt es so viele Geburten wie seit 1972 nicht mehr. Der Kinderboom sorgt an gewissen Orten für einen Mangel an Hebammen. Foto Keystone
Stephan Weber

Vor einigen Tagen hat das Bundesamt für Statistik (BFS) die Zahl der Neugeborenen im letzten Jahr veröffentlicht: So haben 2021 über 89 000 Kinder das Licht der Welt erblickt. Das sind fast 3000 mehr als im Vorjahr und so viele wie seit 1972 nicht mehr. Ob der Kinderboom mit der Pandemie zusammenhängt, soll hier nicht Thema des Artikels sein. Es geht vielmehr um jenen Berufszweig, der Schwangere, Neugeborene, Mütter und Familien in dieser speziellen Lebensphase eng begleitet: Hebammen. Letztes Jahr gab es laut des Schweizerischen Hebammenverbands 3419 Hebammen. Diese Zahl hat sich in den letzten Jahren nicht gross verändert. Zwar dürften laut dem jüngsten nationalen Versorgungsbericht die Zahl der freiberuflichen Hebammen bis 2030 steigen. In den Spitälern aber droht ein Hebammenmangel. Andrea Weber, Geschäftsführerin des Schweizerischen Hebammenverbandes (SHV) sagt auf WB-Nachfrage: «Die Entwicklung bereitet uns Sorgen.»

Kleine Spitäler haben mehr Mühe
Wie präsentiert sich die Lage im Kanton Luzern? Lea Pfenninger ist Präsidentin der SHV Sektion Zentralschweiz, in welcher neben Luzern auch die Kantone Zug, Uri, Ob- und Nidwalden angeschlossen sind. Sie sagt: «Zwar haben wir in unserer Sektion leicht steigende Mitgliederzahlen. Aber vor allem bei den freiberuflichen Hebammen stehen einige vor dem Pensionsalter.» Grundsätzlich sei die Situation im Kanton Luzern weniger problematisch als in den kleineren Kantonen. Während grössere Spitäler meistens über genügend Hebammen verfügten, hätten abgelegene und kleinere Spitäler mehr Mühe, genügend Geburtshelferinnen zu finden. Woran liegt das? «In kleineren Spitälern arbeiten die Hebammen selbstständiger und tragen eine grössere Verantwortung. Sie sind öfters alleine im Dienst eingeteilt. Das kann möglicherweise jüngere Hebammen, die eben erst ihre Ausbildung abgeschlossen haben, etwas abschrecken.»

Sorgen macht Lea Pfenninger vor allem der fehlende Nachwuchs bei den Hebammen. Das Problem sei nicht das mangelnde Interesse am Beruf. Schliesslich seien die rund 200 Ausbildungsplätze, die Jahr für Jahr an den Fachhochschulen angeboten werden, jeweils ausgebucht. So gebe es weit mehr Bewerbungen als Ausbildungsplätze. «Aber es fehlt in der gesamten Schweiz an Praktikaplätzen», sagt die zweifache Mutter. Der Schweizerische Hebammenverband als auch die Praktikaplätze-Verantwortlichen der Fachhochschulen in Bern und Zürich haben diesbezüglich bereits mehrmals bei den kantonalen Gesundheitsdirektoren auf das Problem hingewiesen. Passiert sei nicht viel.

Thurgau und St. Gallen als Vorbild
Auch Andrea Weber sieht die fehlenden Praktikumsplätze als grosses Problem, weil so nicht genügend Hebammen ausgebildet werden können. «Das Problem ist hausgemacht: Seit Jahren wird in der kantonalen Gesundheitsversorgung gespart.» So fehle es in den Spitälern und in den Geburtshäusern an Hebammen, teils weil Personal fehlt, um die Hebammenstudentinnen zu betreuen und weil laut einem Artikel des SRF bei den freiberuflichen Hebammen die Praktikas nicht entlohnt werden. Vorbildlich seien die Kantone Thurgau und St.Gallen, die eine Leistungsvereinbarung mit den entsprechenden kantonalen Hebammenvereinen abgeschlossen haben.

Die fehlenden Ausbildungsplätze sind ein Problem. Ein anderes sind die Arbeitsbedingungen. «Die Arbeitszeiten gehen vielen an die Substanz, sagt Pfenninger. Im Spital arbeite eine Hebamme im Schichtdienst, es gibt Nachtdienst, häufig arbeitet man auch am Wochenende. Das werde über all die Jahre für viele Hebammen zur Belastung. Zudem lasse sich das Freizeitleben nur bedingt planen. «Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oft eine organisatorische Herausforderung.» Um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Hebammen im Beruf zu behalten, müssten vermehrt Teilzeitpensen möglich sein und vermehrt auf eine 1:1-Betreuung Wert gelegt werden, findet die Sektionspräsidentin. Zudem sei der Lohn gemessen an der grossen Verantwortung «zu niedrig».

Hebammengeleitete Geburtshilfe
Eine Möglichkeit, den Beruf attraktiver zu machen, ist die hebammengeleitete Geburtshilfe, welche in Geburtshäusern schon lange angeboten wird und nun auch in Spitälern vermehrt praktiziert wird. Was Obwalden seit 2019 anbietet, gibt es seit 1. Mai auch im Luzerner Kantonsspital in Sursee. Dabei wird bei diesem Angebot der gesamte Geburtsprozess «selbstständig» und «eigenverantwortlich» durch eine Hebamme betreut. Lea Pfenninger findet dieses Modell «eine gute Sache». Warum? «Das Spital kann sich rühmen, mit der hebammengeleiteten Geburt ein interessantes, zukunftsweisendes Angebot anzubieten und für die Hebammen wie für die Gebärenden ist es attraktiv, weil so quasi eine 1:1-Betreuung möglich ist. Die hebammengeleitete Geburt steht allerdings nur jenen Frauen offen, die eine unproblematische Geburt erwarten. Für die eigentliche Niederkunft steht eine zweite Hebamme zur Seite, gibts Komplikationen, würde die Hebamme auf ärztliche Unterstützung zurückgreifen.

Trotz dem drohenden Hebammenmangel und den teils schwierigen Aussichten. Für Lea Pfenninger ist der Hebammenberuf nach wie vor ein Traumjob. «Ich sehe es als grosses Privileg, werdende Eltern und Familien während der Schwangerschaft, Geburt und Nachgeburtszeit zu begleiten. Als Hebamme habe ich das Glück viele wunderschöne Momente mitzuerleben.»

Hebammen-App ist ein Erfolg
Seit Februar 2020 gibt es im Kanton Luzern eine App, die Hebammen vermittelt und deren Einsätze für die Wochenbettbetreuung koordiniert. Der Start gelang, wie der WB damals in einem Artikel im Mai 2020 berichtete. Fast alle der aktiv freischaffenden Hebammen im Kanton Luzern mit Wochenbettbetreuung würden mitmachen, sagte Lea Kobler, Co-Präsidentin des Vereins hebamme-zentralschweiz. Das Projekt war vorerst bis Ende Januar 2021 gesichert. Politische Vorstösse forderten eine finanzielle Beteiligung des Kantons, das Parlament stimmt dem zu. So ist die Vermittlungsplattform bis Ende 2023 gesichert. 80 Prozent der Kosten übernimmt der Kanton. Der Rest wird finanziert durch Sponsoringbeiträge des Geburtshauses Terra Alta in Oberkirch und der Hirslanden-Klinik St. Anna in Luzern. Zudem kommen die Hebammen mit ihren Mitgliederbeiträgen für einen Teil der Kosten auf. Lea Kobler zieht ein positives Zwischenfazit: «2021 konnten wir via App 760 Müttern eine Hebamme vermitteln. Damit sind wir sehr zufrieden. Und in diesem Jahr ist die Tendenz gar steigend.» (swe)

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