"Absprachen sind gang und gäbe"

Am 14. Mai wählt das Luzerner Stimmvolk die restlichen zwei Mitglieder in die Regierung. Der WB hat im Vorfeld der Wahlen mit Politologe Tobias Arnold* gesprochen. Über die Ausgangslage, den Wahlkampf und die Konkordanz.

Gross war der Andrang im Lichthof des Regierungsgebäudes im ersten Wahlgang. Am 14. Mai dürfte das nicht mehr so sein. Foto: Werner Rolli
Stephan Weber

Zuerst ein kleiner Rückblick: Gibt es Erkenntnisse aus dem ersten Wahlgang, welche Sie als Politikwissenschaftler überrascht haben?
Mich hat die klare Favoritenrolle, die sich nach dem ersten Wahlgang herauskristallisiert hat, überrascht. Ich habe zwischen der SP-Kandidatin Ylfete Fanaj und GLP-Kandidatin Claudia Huser ein offenes Rennen vermutet. Das sehr starke Ergebnis von Ylfete Fanaj habe ich so nicht erwartet. Überrascht war ich zudem, dass die Stimmbeteiligung in der Stadt Luzern nicht höher war.
 
Worauf führen Sie die eher magere Stimmbeteiligung von 38.9 Prozent zurück?     
Die Stadt Luzern ist innerhalb des Kantons in einer Minderheitsposition. Städtische Positionen sind aus kantonaler Sicht oft nicht mehrheitsfähig. Möglicherweise hat das in der Stadt zu einer gewissen Politikverdrossenheit geführt.
 
Kantonsweit gingen 40 von 100 Stimmbürgerinnen und Stimmbürger abstimmen. Was sagt Politikexperte Arnold zu diesem Wert?
Aus demokratischer Sicht gilt: Je höher die Stimmbeteiligung, desto besser. Nur, es gilt festzuhalten: Die Stimmberechtigten werden in der Schweiz oft an die Urne gerufen und haben neben den Wahlen auf verschiedenen Ebenen über Volksabstimmungen oder Sachgeschäften abzustimmen. Von dem her sind die 40.3 Prozent Wahlbeteiligung im Bereich der Erwartungen.

Im Hinblick auf den zweiten Wahlgang fällt häufig das Wort Konkordanz. Je nachdem wen man fragt: Jeder legt das Stichwort Konkordanz wieder anders aus. Nun wollen wir es von einem Politikwissenschaftler wissen: Wie definieren Sie Konkordanz?
Ich muss vorausschicken: Die Konkordanz ist nirgends festgeschrieben, auch nicht in der Bundesverfassung. Grob zusammengefasst gibt es zwei Arten, Konkordanz zu definieren. Einerseits in arithmetischem Sinn. In einer fünfköpfigen Regierung sollen demnach alle politisch relevanten Kräfte gemäss ihrer Wählerstärke vertreten sein. Zudem gibt es die politische Konkordanz. Sie zielt auf eine breite Einbindung der gesellschaftlichen Gruppen ab, die aber bemüht sein müssen, miteinander einen Konsens zu finden: Mathematik hin oder her.  
 
Die SP ist seit 2015 nicht mehr in der Regierung vertreten. Wird das Politisieren im Parlament schwieriger, falls die Linke auch weiterhin nicht im Regierungsrat eingebunden ist?
Schafft die SP den Sprung in die Regierung, dürfte das die teils polarisierende Stimmung im Kantonsrat entschärfen. Und es ist sicher von Vorteil, wenn beim Ausarbeiten von neuen Gesetzen alle relevanten Kräfte am Tisch sitzen und mitreden. Aber klar: Die SP würde auch mit einer Regierungsrätin Fanaj Referenden ergreifen und Vorstösse einreichen.
 
Die SP empfiehlt ihren Wählerinnen und Wählern, mit Chiara Peyer die Kandidatin der Grünen auf den Zettel zu schreiben, damit linke Stimmen nicht an Claudia Huser gehen. Macht diese Empfehlung Sinn? Oder ist das gar kontraproduktiv?
Kontraproduktiv? Nein, das nicht. Ich glaube jedoch auch nicht, dass aus Sicht der SP die Gefahr so gross ist, dass oft Huser und Fanaj auf den Wahlzettel geschrieben wird.  
 
Bleiben wir bei den Empfehlungen: Die Mitte hat angekündigt, die SVP und die SP zu unterstützen. Wie wichtig sind Wahlempfehlungen von Parteien heute noch?
Sie kann einen Einfluss haben, wenn die Medien darüber berichten und so Diskussionen auslösen. Ob sich die Parteisympathisanten dann auch an die Empfehlung halten, ist wieder eine andere Frage.
 
Und wie wichtig sind Empfehlungen von Verbänden?
Das ist ähnlich wie bei den Parteien. Nehmen wir den kantonalen Gewerbeverband: Es gibt selbstverständlich Kleingewerbler oder Selbstständige, die sich am Verband orientieren und den Empfehlungen folgen. Aber wenn das medial nicht aufgegriffen wird und keine öffentliche Diskussion stattfindet, können solche Empfehlungen verpuffen.
 
Zur Ausgangslage: SVP-Kandidat Armin Hartmann dürfte so gut wie gewählt sein. Sehen Sie das auch so?
Ja, definitiv. Sein grosser Vorsprung aus dem ersten Wahlgang lässt gar keinen anderen Schluss zu.
 
Was könnte ihm denn überhaupt noch gefährlich werden?
Das müsste schon irgendeine «Leiche im Keller» sein, ein Skandal auf persönlicher Ebene, das seine Integrität in Zweifel zieht. Aber gäbe es das, wäre das wohl längst öffentlich geworden. Selbst wenn national ein Thema die SVP schwächen würde, hätte das kaum Auswirkungen für den SVP-Kandidaten Armin Hartmann.
 
GLP-Kandidatin Claudia Huser hat 10 600 Stimmen weniger geholt als Ylfete Fanaj. Das hat viele überrascht.
Auch mich. Im Vorfeld der Wahlen habe ich Claudia Huser vor Ylfete Fanaj erwartet. Auch, weil die Grünliberalen dem bürgerlich regierten Kanton näher stehen als die SP.   

Kann Claudia Huser den Rückstand noch aufholen?
Das lässt sich aufholen, ist aber schwierig. Und die Sache wird bestimmt nicht einfacher, weil die Mitte angekündigt hat, die Konkordanz hochzuhalten, und ihren Mitgliedern empfiehlt, sie sollen die SP-Kandidatin und den SVP-Kandidat wählen.  
 
Die Grünliberalen hoffen, dass die SVP-Wählenden neben Armin Hartmann Claudia Huser aufführen?

Ich bin skeptisch, ob diese Trumpfkarte sticht. Eher glaube ich, dass die SVP-Wählerinnen und Wähler einzig Armin Hartmann auf die Liste setzen und die zweite Linie offenlassen. In SVP-Kreisen werden die Grünliberalen oft als zu urban und zu akademisch wahrgenommen.
 
Leserbriefschreibende stören sich an den Absprachen und Abmachungen, die anscheinend zwischen der Mitte und der SP stattgefunden haben. Zurecht? Oder ist das ein Mittel, das gang und gäbe ist?
Es ist gang und gäbe. Politik hat mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, mit Strategien, mit Machterhalt, zu tun. Da kommen Absprachen und Abmachungen vor.
 
Leidet darunter nicht das Vertrauen in die politischen Kräfte?
Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass sich gewisse Bevölkerungsschichten so von der Politik abwenden und sich nicht mehr für Wahlen und Abstimmungen interessieren. Vor allem jene, die jetzt schon politikverdrossen sind. Man muss aber auch sagen: Die Bürgerin oder der Bürger hat immer noch die freie Wahl, anders als etwa bei Bundesratswahlen.
 
Die Kandidatinnen und Kandidaten der Mitte und der FDP haben den Sprung in die Regierung bereits geschafft. Wie gross wird die Motivation ihrer Wähler sein, an den Wahlen teilzunehmen?
Möglicherweise nicht mehr so gross. Auch weil es ja nicht um eine Richtungswahl im Kanton Luzern geht. Die bürgerliche Mehrheit ist in Stein gemeisselt, egal ob Claudia Huser die Wahl schafft oder Ylfete Fanaj. Darum erwarte ich für den zweiten Wahlgang auch eine geringere Wahlbeteiligung als am 2. April.
 
Lange war der Wahlkampf zwischen den Parteien eher flau, ja gar langweilig. Bis das Inserat des Komitees «Starkes Luzern» gegen die SP-Kandidatin schoss und für Aufregung sorgte. Wie beurteilen Sie das Inserat?
Wenn ein Inserat kontroverse Diskussionen auslöst, ist das per se gut. Mühe hatte ich mit der «staatlich gesteuerte Planwirtschaft», für die die SP-Kandidatin stehe. Das war mir zu polemisch und ritzt die Grenzen des guten Geschmacks. Andererseits fand ich die Reaktion der Linken etwas gar empörend.
 
Wie wichtig sind die Wahlen im Kanton Luzern eigentlich im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen im Herbst?
Die kantonalen Wahlen sind nicht der Treiber, sondern eher der Seismograf von nationalen Trends. Heisst: Jene Themen, ob Flüchtlingsströme, Ukraine-Krieg oder Energiedebatte – werden sich im Kanton Luzern widerspiegeln. Klar: Jene Partei, die im Kanton Luzern einen Sitzgewinn für sich reklamieren kann, erhält gute Publicity. Diese Bedeutung sollte aber nicht überschätzt werden.

 

*Tobias Arnold ist gebürtiger Urner, 33 Jahre alt und wohnt in Altdorf. Er hat an den Universitäten Bern, Luzern und Lausanne Politik-, Verwaltungs- und Geschichtswissenschaften studiert. Seit 2012 arbeitet er bei Interface Politikstudien Forschung Beratung AG in Luzern.

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