Nachruf

16. September 2022

Ruedi Aregger

Ruedi Aregger
Reiden

«Bin ein fahrender Gesell, kenne keine Sorgen, labt mich heut ein Felsenquell, tut es Rheinwein morgen. Bin ein Ritter Lobesam, reit auf Schusters Rappen, führ den lock'ren Zeisighahn und den Spruch im Wappen: Nur immer lustig Blut und heitrer Sinn, ja futsch ist futsch und hin ist hin!» Dieses Lied, das sich Ruedi Aregger elf Tage vor seinem Tod am 11. Juli vom Spitalbett in Zofingen aus von seinen Kollegen am Arolfingia-Stamm gewünscht hat, könnte auch sein Leben beschreiben. Geboren am 9. Juni 1937 in Buttisholz, war er als Kind schon gezeichnet durch die Missbildung der linken Schulter, was ihn in seiner körperlichen Entwicklung bis zur Operation im Jugendalter und auch später behinderte. Aber sein Gemüt, sein Geist und Gehirn konnten sich unbelastet entfalten und Ruedi auch stark machen, die körperliche Beeinträchtigung zu akzeptieren. Weil Sport nicht möglich war, so blieb neben der Arbeit umso mehr Raum für die Entwicklung anderer Talente: Ruedi gewann am Mikroskop Einblick in die innere Welt der Schöpfung, sezierte Tiere, presste Blumen, er sammelte Briefmarken, zeichnete, spielte Klavier, und vor allem pflegte er die Freundschaft.

Dem Attribut «fahrender Gesell» machte er alle Ehre, wechselte er doch von der Primarschule in Buttisholz an die Mittelschule in Beromünster, wo er bei seiner Schlummer-Familie Waldispühl zum ersten Mal Notiz davon nahm, dass sie eine Nichte namens Adelheid hatte. Das Gymnasium absolvierte er in der Klosterschule in Engelberg und studierte dann Chemie an der ETH in Zürich. Für die zweite Begegnung mit Adelheid war dort Louis Waldispühl verantwortlich, der seine Cousine dem Fuchs der Studentenverbindung Neu-Welfen im Herbst 1959 als Tanzkurs-Partnerin empfahl – mit dem Resultat, dass beide am 19. November 1962 heirateten und sich in Wikon niederliessen. Als Chemiker bei der Siegfried AG konnte Ruedi sein Wissen um die Zusammenhänge der Materie und ihre vielfältigen Erscheinungen anwenden, erweitern und gewinnbringend einsetzen, so dass er eine Familie ernähren konnte. Am 19. November 1962 schloss Ruedi Aregger mit Adelheid Waldispühl den Bund fürs Leben und liess seiner Frau die Freiheit, als Aushilfe-Lehrerin und später als Journalistin ausser Haus tätig zu sein und dazu beizutragen, in der Chäppelimatte ein eigenes Daheim zu erwerben. Die Geburt von Barbara 1965 und Urs 1967 brachte neues Leben und neue Aufgaben in die Familie. Ruedi war der geliebte Ätti, der immer für seine Kinder Zeit hatte und Spielzeug schnitzte und schreinerte: ein Gampfiross und sogar ein zweistöckiges Puppenhaus.

Auch die Wohnung profitierte vom handwerklichen Talent des Hausherrn, fabrizierte er in seiner Schreinerei doch Möbel und baute eigenhändig eine Treppe vom ersten in den zweiten Stock. Vor allem aber war er der geliebte Ätti, der mitspielte, Geschichten erzählte und die Kinder liebend lehrte, die Wunder in Feld und Wald kennenzulernen. Bald ging es nicht mehr im Kinderwagen und zu Fuss aus dem Haus, sondern mit dem Velo. Auf Fahrradtouren und später auf Autoreisen lernten Barbara und Urs die Schweiz und das nähere Ausland kennen.

In die USA und nach Nepal führten die Reisen zu zweit, als die Kinder ausgeflogen waren, und nach der Pensionierung zur Jahrtausendwende jedes Jahr nach Wien, das schon das Ziel der Hochzeitsreise gewesen war. Jetzt wurde Ruedi auch zum Hausmann und zur Freude seiner Frau zum Koch, wobei er akribisch Rezepte aufschrieb und für Familie und Freunde Menüs auf den Tisch zauberte, die in ihm den Chemiker erkennen liessen, der es mit Vorschriften und Dosierung genau nahm.

Dass die Harmonien auch anderswo stimmten, dafür setzte sich Ruedi in der Musikgesellschaft Wikon ein, wo er mit dem Euphonium bald als Stütze und als Vorstandsmitglied geschätzt wurde. Der Schachklub Zofingen verlangte eher strategische Fähigkeiten, und der Raiffeisenbank diente seine verantwortungsvolle Vorstandsaufgabe, mit Geld umzugehen. Dramatisch ging es zu, wenn Ruedi unter der bewährten Regie von Walter Leupi Theaterrollen übernahm, die ihm viel Beifall eintrugen. Unvergessen bleibt er als Doktor Einstein («Arsen und Spitzenhäubchen») und Röbeli Meier («Die kleine Niederdorfoper») auf der Sonnenbühne oder als Rugeliblitz auf der Märchen-Tournee. Legendär war Ruedi als Mozart und «Träumender Bauer» in den Eigenproduktionen seines Engelberger Schulkollegen Reinhard Lang (Texter und Regisseur). Dabei genoss er nicht nur den Beifall, sondern legte immer auch Hand an, sei es beim Errichten der Kulissenwerkstatt auf dem «Sonnen»-Parkplatz, im Bühnenbau und/oder als Koch und Brauer daheim, wo noch viele Flaschen Ruedi-Bier auf Gäste warten ...

Er wird es nicht mehr mit ihnen trinken können. Die Schmerzen waren auch mit hoch dosierter Chemie nicht mehr zu vertreiben, die Einweisung ins Spital Zofingen und Operationen unumgänglich. So wich Ruedis Hoffnung auf Genesung nach zwei Wochen dem immer stärker werdenden Verlangen nach Erlösung. Es wurde am Montag, 11. Juli, erfüllt, als Ruedi gegen Mittag in den Armen seiner Frau ganz ruhig wurde und seine Augen um 11.25 Uhr für immer schloss, während ihm Adelheid noch sein Lieblingslied summte. Der «Fahrende Gesell» war im Jenseits angekommen, von dem niemand weiss: Ist es die Erfüllung des irdischen Lebens mit einem Wiedersehen oder das unendliche Nichts? In seinem Daheim aber hütet eine Urne seine Asche im sanften Schein zweier Kerzen ...