Nachruf

16. Mai 2019

Kurt Regli-Achermann

Andermatt/Willisau

Was ich bin und was ich habe, das verdanke ich euch. Diesen Satz schrieb Vater an seine Eltern nach dem erfolgreichen Abschluss des Staatsexamens im Juli 1956.

Geboren wurde Kurt Regli als dritter Knabe in die Familie von Alfred und Marie-Louise Regli-Furrer am 7. Januar 1929. Acht Jahre später kam noch seine Schwester Berta hinzu. Gleich neben der Kaserne durfte er mit seinen Geschwistern und den Nachbarskindern eine glückliche Kindheit erleben. Die Eltern führten das Gasthaus Altkirch und einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb. Sein Vater war politisch sehr aktiv, z.B. als Talammann während des Stausee-Projektes der CKW oder als Landratspräsident des Kantons Uri im Jahr 1955/56. Seine Mutter war verantwortlich für den Gastbetrieb, die Familie, die Angestellten – und sie war oft auch Mutter für viele Gäste und Soldaten. Der Zweite Weltkrieg hat das Leben der Familie und des Gasthauses stark geprägt. Klein Kurti half schon früh in diesem Betrieb mit oder war mit seinem Vater in der Land- und Alpwirtschaft unterwegs. Viel erzählte er uns von seinen Erlebnissen als Hütebub auf dem Graben, auf dem Grossboden oder dem Bäzberg. Am 8. Mai 1945 läuteten in der ganzen Schweiz die Kirchenglocken zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Für Kurt war es sehr wichtig, dass aus Dankbarkeit auch in der Kolumbanskirche geläutet wurde und so erledigte er dies gleich selber.

Die obligatorische Schulzeit besuchte er in Andermatt. Die Knaben wurden zu dieser Zeit von Kapuzinerpatres unterrichtet. Einer dieser Kapuziner (Pater Bartholomäus) erkannte das Talent vom jungen Schibler. Dieser ermunterte die Eltern, Kurt nach Stans ins Kollegium St. Fidelis ins Gymnasium zu schicken. Einerseits freute sich Kurt auf diese Chance und dieses Vertrauen. Anderseits war dies der erste Abschied von seiner Heimat, von seiner Familie und vor allem von seiner geliebten Mutter.

Ein Schulkollege war Adolf Achermann aus Rothenburg. Dieser hatte oft Erbarmen mit diesem jungen Kurt aus Andermatt, der pro Jahr zwei Mal nach Hause ging: einmal an Weihnachten und einmal in die Sommerferien. Daher  brachte er ab und zu mal Kurt zu sich nach Hause nach Rothenburg. Frieda, der ältesten Schwester von Adolf, gefiel dieser Urschner sehr. Und schon bald gingen sie gemeinsame Wege.

Die Rekrutenschule absolvierte er in der Festungsartillerie im Tessin. Für die Wiederholungskurse durfte er dann später auf den Gütsch ob Andermatt einrücken, wo er zum «Gefreiten» befördert wurde.

Nach der Matura in Stans entschied sich Kurt, das Studium als Veterinär in Angriff zu nehmen. Er  studierte die ersten zwei Semester in Freiburg. Dort trat er in die Studentenverbindung «Neu-Romania» ein, wo er auch seinen Studentennamen «Rondo» erhielt. Das weitere Studium verbrachte er an der Universität Zürich. Dort trat er den «Turicern» bei. 

In den Semesterferien arbeitete Kurt im Kieswerk in Zumdorf, um sein Studium zu finanzieren. Was dies zu dieser Zeit kostete, konnten wir zum Beispiel aus einer Quittung von 1955 lesen: das Buch «Spezielle Pathologie und Therapie der Haustiere» kostete Fr. 147.60 (im Vergleich dazu kostete 1 kg Brot 58 Rappen). Neben dem Studium war Kurt ein sehr erfolgreicher Wintersportler. So schrieb uns ein Jugendfreund: «Anfang der Fünfzigerjahre hatte mein Vater die NZZ abonniert. Dreimal im Tag wurde sie zugestellt. Ich erinnere mich und habe die kurze Notiz immer noch vor Augen: Internationale SAS-Meisterschaften (heute Winteruniversiade) im Engadin, 4er-Kombination (Abfahrt, Sla­lom, Langlauf und Springen), 1. Rang Kurt Regli (Schweiz).»

Als junger Tierarzt konnte er in den unterschiedlichsten Tierarztpraxen in der Schweiz wertvolle Erfahrungen sammeln. Mit der Anerkennung seiner Dissertation durfte er sich Dr. med. vet. Kurt Regli nennen.

Sein Schwiegervater Adolf Achermann sass zu dieser Zeit im Grossrat im Kanton Luzern. So vernahm er von einem Ratskollegen, dass in Willisau eine Tierarztpraxis zu übernehmen sei.

Am 14. April 1958 heirateten Frieda Achermann und Kurt Regli im «Wesemlin» in Luzern. Darauf bezogen sie ihr erstes Daheim in Willisau. Gleichzeitig übernahmen sie die Tierarztpraxis. Es war eine schwierige Zeit. Mutter erwähnte immer wieder, dass, wenn das Telefon klingelte, entweder ein Vertreter anrief oder jemand sich verwählt hatte. 

1959 erblickte die Tochter Frieda das Licht der Welt. Im gleichen Jahr folgte Kurt. Bald wurden die Platzverhältnisse in dieser ersten Wohnung zu eng. An der Gartenstrasse in Willisau konnte die junge Familie Bauland erwerben und ein Haus bauen. Kurz vor der Geburt von Angela durfte der Neubau bezogen werden. Dieses Haus und der dazugehörige Umschwung bot auch genügend Platz für Hanspeter und Walter. 

Vater war mit Leib und Seele Tierarzt. Er war der erste Tierarzt im Luzerner Hinterland, der bei Rindern Kaiserschnitte durchführte. Die Arbeit in der Tierarztpraxis wurde von Jahr zu Jahr zahlreicher und vielfältiger, sodass immer wieder Assistenztierärzte angestellt wurden. Vater bildete sich auch stetig weiter. Wir erinnern uns, dass er für eine Weiterbildung in Hannover war und dass er jede freie Minute mit Lesen verbrachte. Mutter unterstützte Vater in der Praxis, z.B. half sie immer mit bei Kaiserschnitten. Auch die ganze Administration gehörte in ihren Aufgabenbereich. Mit vielen Assistenten gab es langjährige, freundschaftliche Beziehungen, die bis zum Tode andauerten. So besuchten ihn mehrere ehemalige Assistenten noch im Betagtenheim in Andermatt.

Die Freizeit war äusserst knapp. Die Ferien verbrachte die ganze Familie jeweils drei Wochen lang in Engelberg in einem Ferienhaus. Wanderungen, picknicken, Bach stauen, ein Kinobesuch in Luzern, Spiele am Abend oder auch ein Filmdreh zum Thema «Mutters Mittagsruhe» bleiben in bester Erinnerung, ebenso die berühmt-berüchtigten Grillstellen. Das Wichtigste in seinem Arbeitsalltag war der gemeinsame Familientisch am Mittag und am Abend.

Über Jahre war Vater im Aufsichtsrat der Raiffeisenbank Willisau tätig. Einige Jahre war er Mitglied der Aufsichtskommission der Kantonsschule Willisau. Mit grosser Hingabe war er auch als Lehrer an der landwirtschaftlichen Schule in Willisau, wo er die angehenden Landwirte in Tierheilkunde unterrichtete. Diese Zeit mit den jungen Berufsleuten schätzte er sehr, es war ihm enorm wichtig, diese gut auf ihren neuen Beruf vorzubereiten.

Die Beziehungen zu seinen Wurzeln blieben über all die Jahre bestehen. So freute er sich jeweils sehr über Besuche in Andermatt, bei seiner Familie, auf seinem Graben. So durfte er von seinem Vater dieses kleine «Paradies» erben. 

Nach und nach absolvierten die Kinder die eigenen Ausbildungen und es wurde etwas ruhiger. Bald kam das erste Grosskind Andrea zur Welt. Andrea verbrachte sehr viel Zeit bei ihrem Götti, ihren Grosseltern, sei es an Wochenenden oder in den Ferien. Schlussendlich war er stolzer Grossvater von 15 Grosskindern und 3 Urgrosskindern.

Wir wussten nicht so recht, ob sich Vater auf die Pensionierung freute. Vor allem machten wir uns Sorgen, wie er denn seine Freizeit verbringen werde. Am 31. Dezember 1994 stellte er seinen Subaru in der Garage ab und drehte den Schlüssel – für immer. Vater kaufte für sich und unsere Mutter ein Velo. So tourten sie oft gemeinsam durch die Gegend im Luzerner Hinterland.

Die Praxis übergaben sie in gute Hände. Was als kleine Praxis begann, entwickelte sich mit Vaters Weitsicht nach und nach zu einer Praxisgemeinschaft, die das ganze Luzerner Hinterland abdeckt. 

Endlich hatten Kurt und Frieda Zeit, um zu reisen, Wallfahrten zu machen und neue Orte zu entdecken. Beide waren grosse Verehrer der hl. Mutter Gottes. Der christliche Glaube prägte das Leben unserer Eltern. Nach der Pensionierung war es ihnen wichtig, täglich eine heilige Messe zu besuchen.

Es war Kurt und Frieda vergönnt, bis im Mai 2016 in ihrem geliebten Heim an der Gartenstrasse in Willisau zu wohnen. Schwere gesundheitliche Probleme seiner geliebten Frau, verbunden mit Spitalaufenthalten, machten einen Übertritt ins Betagten- und Pflegeheim Ursern unumgänglich. Ein erster Höhepunkt durfte Vater erleben, als seine Tochter Frieda zur Landrats­präsidentin des Kantons Uri gewählt wurde und er an dieser Feier beiwohnen durfte.

Ein paar Tage nach ihrem 87. Geburtstag durfte seine geliebte Frau friedlich einschlafen. Es war bewundernswert, wie Vater nun nach 58 gemeinsamen Ehejahren den Weg alleine weiterging. Täglich war er mit seinem Rollator unterwegs zum Friedhof. Er durfte unzählige Besuche von Jugendfreunden geniessen. Zum Erstaunen aller, kam sein spezieller, feiner und trockener Humor wieder zum Vorschein. So ganz verschmitzt konnte er eine Bemerkung platzieren und selber gehörig darüber lachen. Dies zeigte uns, dass er wieder in seiner Heimat angekommen war. «Ja, aber… oder es isch all da», diese Bemerkungen werden uns immer an ihn erinnern.

Besonders schätzte er die wöchentlichen Besuche und Gespräche mit seiner Schwester Berta und mit seinem Grosskind Petra. Mindestens alle 14 Tage einmal erhielt er Besuch von seinem jüngsten Sohn Walter. Die beiden konnten sehr gut fachsimpeln, war doch Walter auch Tierarzt und führte ein Veterinär-Diagnostiklabor. Im Betagtenheim zeichnete er sich als intensiver Gesprächspartner und aktiver Zeitungsleser aus. Die Diskussionen mit dem Heimleiter Hr. Gähwiler und dem Pflegepersonal waren intensiv, anregend aber immer fair.

Am 23. September 2018 musste er vom unerwarteten Tod seines Sohnes Walter erfahren. Walter und sein älterer Bruder Kurt waren in einer begleiteten Gruppe auf den Bristenstock unterwegs, als Walter aus unerklärlichen Gründen abstürzte und verstarb. 

Diesen Schicksalsschlag hat Vater nun nicht mehr verkraftet. Der Umzug ins neue Seniorenzentrum Ende November brachte noch einmal neue Herausforderungen mit sich.

Am 7. Januar 2019 durfte er im Beisein seiner Familie den 90. Geburtstag feiern. Diesen Tag mit den Kindern, Gross- und Urgrosskindern hat er sichtlich genossen. Dennoch spürten wir, dass ihn die Kräfte zusehends verliessen. Er gab uns Zeit, uns von ihm zu verabschieden.

Am 7. April 2019 durfte er friedlich einschlafen. 

Was WIR sind und was WIR haben, das verdanken wir DIR.