Nachruf

27. Januar 2020

Anton Rölli-Mehr

Hergiswil

Lebenslauf wollte er diese Zeilen nicht nennen, als er uns ende 2018 einige Blätter in die Hand drückte. Nein, es habe eher den Charakter eines Dankes- und Abschiedsbriefes, versehen mit ein paar biografischen Eckpunkten aus seinem Leben. 

Vielleicht spürte er bereits zu diesem Zeitpunkt, dass seine Kraft in den kommenden Monaten langsam und stetig schwinden wird. 

Toni wurde am 15. September 1937 als zweitältestes von zehn Kindern den Eltern Anna und Hans Rölli-Wermelinger im mittleren Opfersei in die Wiege gelegt. Die krisenhaften 1930er-Jahre, der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegsjahre – als der wirtschaftliche Aufschwung vor allem in den ländlichen Regionen auf sich warten liess – haben die Kindheit der sieben Buben und drei Mädchen massgeblich geprägt. 

Die Primarschule besuchte Toni im Hübeli. Ständige Lehrerwechsel und übergrosse Klassen waren normal und sind heute kaum mehr vorstellbar. Vielleicht war das mit einer der Gründe, dass die Schule so ganz und gar nicht sein Ding war. Obwohl er die Aufnahmeprüfung für die damalige Sekundarschule bestanden hatte, weigerte sich der schulmüde Toni standhaft, weiterhin in die Schule zu gehen. Eine Entscheidung, die er zeitlebens bereute. So war es ihm in späteren Jahren ein grosses Anliegen, dass seine eigenen Kinder Aus- und Weiterbildungen absolvierten. 

Statt also weiterhin die Schulbank zu drücken, wurden Toni und sein Bruder Hans auf dem elterlichen Hof zur Mitarbeit verpflichtet. 

Mit 19 Jahren bot sich ihm die Gelegenheit, einen Sommer auf einer Entle­bucher Alp zu verbringen. Die Vorstellung eines vergnügten Alpsommers verwirklichte sich dabei nicht. Es war ein strenger, arbeitsintensiver Sommer mit – wie er jeweils erzählte – wenig menschlicher Wärme. Diese Erfahrung lehrte ihn eines: «Toni, so gehst du in deinem Leben nie mit deinen Mitmenschen um»!

Nach diesem prägenden Sommer rückte er in die Rekrutenschule in Fribourg ein. Seine weitere Dienstpflicht erfüllt er im Luftschutzbatallion III 19.

Gegen den Willen seines Vaters besuchte Toni unmittelbar nach der RS die landwirtschaftliche Schule in Willisau. Nach deren erfolgreichem Abschluss arbeitete er einige Jahre in der Möris­egg – dem damaligen Bürgerhof von Hergiswil etwas aus­serhalb des Dorfes. Die Verantwortung für den gesamten Viehbestand erfüllte ihn mit Freude und Stolz. Es war eine Zeit, von der er gerne erzählte und auch seine Wanderungen und Spaziergänge führten ihn immer wieder Richtung Mörisegg. Er berichtete oft von dem verheerenden Brand, der am 6. Juli 1961 ausbrach und bei dem alle 46 Tiere gerettet werden konnten. Bei diesem Brand zog sich Toni eine schwere Rauchvergiftung zu, dessen Heilung einige Zeit in Anspruch nahm. 

Im gleichen Jahr musste die Familie ihren Vater mit erst 54 Jahren zu Grabe tragen. Dieser Schicksalsschlag machte die drei ältesten Kindern zu Miternährern für die teilweise noch schulpflichtigen Geschwister. Zusammen mit ihrer Mutter haben sie die Familie zusammengehalten. Dieser Zusammenhalt ist geblieben und hat sich im Laufe der letzten Jahre noch verstärkt. 

Rund zwei Jahre später zog es Toni fort. Im Kloster Fahr – dem heute noch ein grosser Landwirtschaftsbetrieb angeschlossen ist – fand er eine neue Arbeitsstelle. Dort sah er seine berufliche Zukunft mit aussichtsreichen Perspektiven. Doch es kam anders: Auf dem elterlichen Hof wurde seine Unterstützung gebraucht uns so arbeitete er fortan wieder mit seinem Bruder Hans im mittler Opfersei.

Nach Ausbildungsabschluss der jüngeren Geschwister stellte sich die Frage nach der Hofübernahme. In der Folge wurde der Hof aufgeteilt in mittler Opfersei und Opfersei Neuhus. Das Opfersei Neuhus wurde zu Tonis neuem Zuhause und dem seiner eigenen, künftigen Familie. 

In der Person von Martha Mehr von der Schachenmatt fand er eine Frau, die mit ihm das Neuhus zu neuem Leben erweckte. Am 12. November 1968 heirateten die beiden. Im Laufe der Jahre kam mit Monika, Pia, Willi und Thomas noch mehr Leben in Haus und Hof. Sie waren der ganze Stolz von Toni und Martha. Auch wenn die Mittel bescheiden waren, so haben sie ihre Kinder bei der Umsetzung ihrer Pläne bestmöglich unterstützt. Die Kinder wurden grösser, verliessen das Neuhus und gründeten ihre eigenen Familien. So wuchs die Familie um zwei Schwiegersöhne, zwei Schwiegertöchter und sieben Enkelkinder. Unvergesslich sind die Erinnerungen, als Opa mit seinen Enkeln einen Schneemann baute, «Vier gewinnt» oder «Schwarzer Peter» spielte oder er zusammen mit Oma die Enkel von der Schule abholte. 

Rückblickend war Toni froh und dankbar wie sein Leben einen Verlauf nahm: nicht immer einfach – aber lehrreich und zufrieden.

Dazu zählten auch seine Tätigkeiten neben Familie und Hof: Zum einen war da die Gründung der Wasserversorgung Unterskapf, bei der er über viele Jahre die Kasse führte. Noch während der Bauzeit der Wasserversorgung liess er sich zum Feuerwehroffizier ausbilden und diente während vielen Jahren den Feuerwehren Opfersei und Hergiswil – davon 8 Jahre als deren Vizekommandant.

Eine weitere Aufgabe erfüllt er bei der Elektra Opfersei. Erst als Präsident, später in der Doppelfunktion als Kassier und Präsident. Bei der Stras­sengenossenschaft Unterskapf fungierte er als Kassier und später als Präsident. Später sagte er oft: «Dank meiner Martha und den heranwachsenden Kindern haben wir diese Aufgaben zusammen gemeistert».

Toni war ein leidenschaftlicher Theater­spieler. In diversen Stücken gab er sein Können zum Besten. Es faszinierte ihn, in andere Rollen zu schlüpfen und diese zu verkörpern. Aus all seinen gespielten Rollen konnte er etwas lernen – egal ob er ein Lump oder ein edler Herr spielte. Ein jeder hat seine Eigenheiten mit Sonn- und Schattenseiten. 

Für öffentliche Ämter interessierte er sich eigentlich nicht. Er meinte, dass ihm dazu die Zivilcourage fehlte. Doch – in einer stillen Wahl wurde er 1981 in den Gemeinderat gewählt. Mit grossem Respekt stellte er sich dieser Herausforderung. In der Person von alt Gemeindeschreiber Toni Zihlmann fand er sein Vorbild. Sein Sinn für Recht und Gerechtigkeit hat auch in Toni Impulse geweckt, in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren und nach bestem Wissen und Gewissen, Herz und Verstand walten zu lassen. 

Als Sozialvorsteher wurde er mit Aufgaben konfrontiert, die ihm manchmal sehr zu Herzen gingen und er kaum abschütteln konnte. Es gab aber auch viele Aufgaben, die ihn motivierten und bestätigten. 

Die wohl erfüllendste Aufgabe wurde ihm 1987 zuteil als Heimverwalter vom St. Johann. Zusammen mit Oberin Sr. Friediana Engetschwiler sorgte er während neun Jahren für das wohl von Heim und Bewohnern. Viele Freundschaften sind während dieser Zeit entstanden und darüber hinaus. 

Die hohen Ansprüche an sich selber – allen Aufgaben und Herausforderungen jederzeit gerecht zu werden – liessen Toni immer wieder zweifeln. Sorgfältig und durchdacht – ohne viele Worte zu verlieren – fällte er seine Entscheidungen und übernahm dafür auch die Verantwortung. Seine Wortkargheit in diesen Situationen war für uns als Familie nicht immer verständlich. Und hat er etwas als Ungerecht empfunden, so scheute er sich nicht, seinem jeweiligen Gegenüber auch mal hartnäckig auf die Füsse zu treten. 

Eine der schwierigsten Tage im Leben von Toni und der ganzen Familie war der 7. September 2015, als Mami an Krebs starb. Ihre offene Art mit dieser Krankheit umzugehen war vorbildlich und für uns alle ein Phänomen. Es gab uns Kraft, diesen Verlust zu verarbeiten.

Bewusst genoss nun Toni die neu gewonnene Freiheit und Unabhängigkeit nach der intensiven Pflegezeit von Mami. Mit Auto und Rucksack zog es ihn unzählige Male ins Luthertal oder in eine andere Ecke der Gemeinde, wo er neue Strassen abmarschierte und begutachtete. Am Abend kam er zufrieden mit neuem Wissen nach Hause. Manchmal kam er auch mit Schlüssel­blumen oder Brombeeren von seinen ausgedehnten Wanderungen zurück. 

Nicht immer war er alleine unterwegs. Die Liebe zur Natur teilte er mit der Wandergruppe 60+.

Für Ausflüge mit seinen Kindern und Enkeln war er immer zu haben. Sogar Reisen nach Frankreich zu seiner Tochter Monika unternahm er und wir sind stolz, wie er diese Zeit gelebt hat. 

Geburtstage oder Treffen mit seinen Geschwistern, Kindern oder Grosskindern waren immer wichtige Daten. Auch ein geplanter oder spontaner Jassanlass sorgten für eine willkommene Abwechslung. Übernachtungen der Grosskinder bei Opa waren enorm beliebt: ein Besuch im Spitzacher oder in der Schachenmatt, ein Friedhofgang mit Kerzli anzünden, ein Weggli zum Zobig oder Znacht und dann noch ein bisschen fernsehen – so war es bei Opa. 

Vor rund eineinhalb Jahren nahm der Krebs auch bei Toni überhand und hat ihm vieles abgefordert. Seine geliebten Spaziergänge musste er kürzen und später ganz aufgeben. Die Tage zu Hause wurden lange, trotz der vielen Besuche seiner Geschwister, von Nachbarn, Verwandten und Bekannten. Nach mehreren Spitalaufenthalten musste er seine Wohnung aufgeben und kam vorübergehend ins Heim nach Menznau. Es fehlte ihm an nichts in Menznau – ausser seine Heimat – Hergiswil. Als die erlösende Nachricht kam, dass im St. Johann ein Zimmer frei ist, fing sich der Kreis an zu schliessen. 

Immer schwächer, mit immer mehr Pflegeanspruch wurde er herzlich auf dem 2. Stock aufgenommen und vorbildlich zu seinem Wohlergehen betreut. Er war zufrieden und dankbar für die zurückgewonnene ärztliche Betreuung durch Dr. Hanspeter Rölli und die regelmässigen Besuche von Diakon Hubert Schumacher. Beides hat er sehr geschätzt und es tat ihm gut.

Am Morgen des 2. Oktober 2019 wurde Toni im Kreise seiner Familie von seiner Krankheit erlöst. 

«Immer in der Hoffnung ich schaffs, bin ich am Ende meiner Kraft.
Darum weinet nicht ihr Lieben, wenn ich auch gerne wär geblieben.
Haltet fest zusammen und reicht euch die Hand, das ist mein Wunsch beim letzten Gang.»

Toni, in deinen Notizen bedankst du dich bei allen, die dein Leben begleitet und bereichert haben. Vorab bei deiner Familie, deinen Geschwistern und Angehörigen. 

Papi, Opa, Grossvati, Toni – wir danken dir für deine Liebe, deine Ehrlichkeit und dein grosses Herz. 

Ruhe nun in Frieden – «uf Wieder­luege».